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Myingmar, der Schamane (Foto: E. Pokorny) |
Myingmar war der erste waschechte Schamane, den ich zu Beginn meiner Lehrgänge im Shamanistic Studies & Research
Centre in der Nähe von Kathmandu kennen lernen
durfte. Er gehörte dem buddhistischen
Volk der Sherpas an und lebte im Osten von Nepal, wo er immer neue und neue Generationen von Schamanen ausbildete.
In Nepal ist die
moderne medizinische Versorgung äußerst knapp. Anstelle von Ärzten heilen in den
Bergdörfern die Schamanen mit ihren heiligen Gesängen (Mantras) und
Zeremonien. Sie nehmen geistigen
Kontakt mit verschiedenen Geistern und Wesen auf, mit deren Hilfe sie auf die Gesundheit der Kranken
einwirken wollen.
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Bei einer Zeremonie |
Im ersten Moment
erscheint die schamanische Heilungsmethode wie ein "Hokuspokus".
Myingmar aber, wenn er im Haus des Shamanic Studies & Research
Center schamanisierte, führte uns ausländische
Interessierte sehr detalliert in seine Methode ein. Mit Hilfe der
Übersetzungen des Leiters des Hauses, Mohan Rai, aus der Sherpa Sprache
ins Englische verwandelte sich der vermeintliche "Hokuspokus" in eine
außergewöhnliche Lehre mit einer speziellen Kosmologie.
Myingmar unterrichtete die aus Japan,
Österreich, den USA, Deutschland usw. angereisten Gruppenteilnehmer in heiligen Gesängen, Trommeln auf
Dhyangro, Ritualen für Ahnen- und Wassergeister, schamanischen
Reisen, Verehrung der Natur und der Seele aller Lebewesen.
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Katalin und Myingmar tanzen im Shivapuri Park |
Er war ein außergewöhnlicher Mensch.
Er hatte nie schreiben gelernt, aber sein Geist
war hell. Oft hörte er uns Ausländern zu
und versuchte, uns wenigstens ein bißchen
zu verstehen.
Es gab eine deutsche Redewendung,
die er sehr häufig von uns gehört hatte:
"Ach soooo !". Anscheinend gebrauchten
wir diese Worte so oft, dass er eines Tages -
er hatte gerade gehört, dass wir in Europa
nicht die ersten Tropfen unserer Getränke
den Geistern widmen müssen - laut ausrief:
"Ach soooo !"
Er
hatte viele Kinder und Enkelkinder, die ihn sehr achteten und liebten.
Er pendelte regelmäßig zwischen Kathmandu und seinem Dorf. Manchmal
dauerte der Weg mehrere Tage, weil damals noch die maoistischen Rebellen
oft den Weg versperrten oder von den Reisenden
Schutzgelder abverlangten. Wehe dem, der kein Schutzgeld zahlen konnte!
Die Maoisten erschossen damals Menschen an der Stelle. So war Myingmar
dauernd in Gefahr. Aber er verdiente in Kathmandu gutes Geld, das er
unmittelbar seiner Familie und sogar seinem ganzen Dorf zukommen lassen
wollte. Er war der einzige im Dorf, der Geld verdiente.
Mit
ihm und der Schamanin Maile Lama durfte ich einige Tage mit
schamanischer Arbeit in einer Höhle im Shivapuri Park im Norden von
Kathmandu auf etwa 2200 Meter Höhe verbringen. Mit uns stiegen noch
einige weitere Mitglieder unserer ausländischen Gruppe die steilen Wege
hinauf. Oben angekommen lehrte uns Myingmar heilige Mantras, eine
Heilungszeremonie für Schmerzzustände und eine besondere Meditation, die
in der völligen Dunkelheit ausgeübt werden sollte.
Nachts
durften wir die Höhle nicht verlassen, da in der Nähe hungrige
Leoparden lauerten, die einige Tage zuvor eine französische Journalistin
in Teile gerissen hatten.
Ein
kleines, in einer Ecke der Höhle in die Felswand geschlagenes Loch
diente als Abort. Wenn wir in der stillen Dunkelheit meditierten, hörten
wir die Tausendfüßler und andere Insekten herumkriechen. Wie gut, dass
ich erst später erfuhr, dass einige dieser Tiere wirklich giftig waren.
Ansonsten hätte ich wohl vor lauter Angst kein Auge schließen können.
Versorgt
wurden wir dort aus der Klosterküche der Nagi Gompa, eines
buddhistischen Klosters. Wir erhielten täglich eine warme Mahlzeit und
reichlich Tee. Mit Händen und Füßen machten wir Myingmar verständlich,
dass wir in Europa täglich drei Mahlzeiten zu uns nehmen. Er war
überrascht und sagte erneut : " Ach soooo !", wobei er - wie so oft -
freundlich und herzhaft lachte.
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Trommel im Gebetsraum des Klosters Nagi Gompa |
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Gleichwohl
war er nicht nur ein Engel. Wie fast alle Männer in Nepal, hatte er die
unangenehme Gewohnheit, häufig auf den Boden zu spucken. In der Höhle gab es deshalb
zahlreiche feuchte Flecken am Boden. Als ihn die Schamanin Maile
deswegen tadelte, verstand er zwar nicht, weshalb er nicht mehr
herumspucken dürfen sollte, spuckte aber von da an nur noch über die
Mauer vor der Höhle in die Tiefe.
Auf die Bitte der Schamanin Maile, die Flecken vom Boden aufzuwischen, antwortete er kurz angebunden, das sei doch keine Arbeit für Männer.
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Myingmar in seinem Dorf (Foto: E. Pokorny)
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Er war stets
herzlich, dennoch streng und ernst. Kurze Zeit später starb er durch einen "Schamanenunfall".
Aus seiner Umgebung hörte ich, er
habe mit einem mächtigen Naturgeist um einen Kranken gefeilscht und der
Geist habe von ihm Opfergaben verlangt. Angeblich habe er versäumt, die
Opfergaben rechtzeitig darzubieten. Deshalb habe Myingmar zur Strafe
sterben müssen.
Auch wenn im Buddhismus heißt, Anhaftung sollte gemieden und Liebe als Emotion in Gleichmut verwandelt werden, riskiere ich zu behaupten, ich trage ihn bis heute in meinem Herzen.
Wir in
Europa würden sagen, er fiel einem Hirnschlag zum Opfer. Auf einem
Felsen in den Bergen brach er zusammen. Er wurde 60 Jahre alt.